Als Kind die Heimat verloren
Geboren wurde ich am 18. August 1936 in Ramla bei Jaffa, Palästina, (seit 1948 Israel) . Als ich sieben Jahre alt war, starb meine Mutter. Sie hinterließ außer mir noch drei ältere und zwei jüngere Geschwister. Daraufhin kam ich in das syrische Waisenhaus, ein von dem deutschen Missionar Schneller gegründetes Internat in Nazareth. In dem Jahre 1946/47 nahmen die kriegerischen Handlungen zwischen den gut ausgebildeten und organisierten jüdischen Untergrundorganisationen und der arabischen Bevölkerung zu. Unser Internat befand sich auf einem Berg gegenüber einem jüdischen Kibbuz (jüdische Kollektivsiedlung). Als sich die Lage weiter zuspitzte und unsere Schule mehrfach beschossen wurde, war der arabische Schulleiter gezwungen, die meisten Kinder nach Hause zu schicken. 14 Kinder, darunter ich, die aus den Städten Lydda (Lod), Jaffa und Ramla stammten, konnten nicht nach Hause geschickt werden weil unsere Heimatstädte stark umkämpft waren und alle dahin führenden Straßen unter Beschuss lagen. Also blieben wir noch eine Weile in Nazareth, bis der Direktor der Schule einen Lastwagen gemietet hatte. Der Lastwagen wurde mit einem Teil von seinem Haushalt beladen. Hinzu kamen für uns Kinder einige Säcke Lebensmittel, wie zum Beispiel Reis, Linsen, Kichererbsen, Zucker, Linde’s Kaffee Ersatz (Muckefuck), 14 Matratzen und Wolldecken. Schließlich durften wir alle auf den Lastwagen steigen. Pfarrer Daoud Haddad (später der erste arabischer Bischof der evangelisch – lutherische Gemeinde Jerusalem) begleitete uns als Beifahrer. Die Reise ging nach Beirut in den Libanon, weil der Bruder unseres Direktors dort lebte. Wir kamen die ersten 14 Tage bei befreundeten Familien des Bruders unter. In dieser Zeit wurde für uns ein Zelt organisiert. Wir durften es auf einem Kornfeld aufschlagen. Der Älteste, 17 Jahre alt, bekam über uns die Aufsicht. Es war Sommer, wir hatten zunächst ein schönes Leben. Wir kochten und aßen zusammen das, was wir zusammengezaubert hatten und dann spielten, sangen und lernten Gedichte sorglos den ganzen Tag über. Als der Winter kam, zogen wir in einem Haus in der Stadt Shamlan bei Beirut. Hier wurden wir normal unterrichtet. Eines Tages, im Monat April 1948, hörten wir eine schreckliche Nachricht, dass berittene und bewaffnete jüdische Kämpfer der Irgun und des Stern das Dorf Deir Yassin überfallen und die meisten Bewohner umgebracht hatten. Sie machten noch nicht mal vor Frauen, Mädchen und Babys halt. Einige Monate später, im Juli 1948, hörten wir auch, dass israelische Truppen, massiv und gnadenlos unterstützt von schwerer Artillerie und Luftangriffen, unsere Geburtsstädte Lydda und Ramla überfallen und eingenommen hatten. Viele Menschen wurden vor allem in der Stadt Lydda umgebracht. Die Überlebenden mussten ihre Häuser zu Fuß verlassen, nachdem man ihnen alles weggenommen hatte. Es war für uns Kinder grausam und unvorstellbar, solche Nachrichten zu erfahren. Denn wir wussten nicht, was mit unseren Angehörigen passiert war. Wir blieben noch circa zwei Jahre im Libanon, bis wieder Ruhe zwischen den Juden und den Arabern einkehrte. Unsere Heimat Palästina wurde inzwischen zweigeteilt: 78% fielen an Israel, 22% an Jordanien. Wir kamen nach Bethlehem, das nun zu Jordanien gehörte. Der deutsche Missionar Schneller hat auch in Bethlehem eine Internatsschule und eine Kirche gehabt, dadurch konnten wir hier einziehen.
Nach eine Weile wurde Direktor und Pfarrer Hermann Schneller ( Enkelsohn der Gründer) als Deutscher aus der Internierung in Australien entlassen. Er durfte zwar unsere Schule leiten, aber uns die deutsche Sprache nicht unterrichten. Daraufhin wurden viele deutsche Kirchenlieder, Marschlieder und sogar Grimms Märchen ins arabische übersetzt.
Wir wurden u.a. evangelisch lutherisch erzogen durch Religionsunterricht und Teilnahme am Gottesdienste. Als wir ca. dreizehn Jahre alt waren, wurde uns empfohlen, wie in Deutschland, an einen Vorbereitungskurs zur Konfirmation teilzunehmen. Wir willigten ein, obwohl wir alle in der orthodoxen Kirche getauft waren, aber durch die Vertreibung hatten wir zu der orthodoxen Kirche kein Zugang mehr gehabt. Mit 14 Jahren wurden wir in der evangelisch-lutherische Weihnachtskirche in Bethlehem konfirmiert.
Erst hier in Bethlehem erfuhr ich von Verwandten, die aus Lydda zu Fuß geflohen waren, dass mein Vater und nur zwei von meinen 4 Geschwistern noch am Leben waren und in Ramla geblieben waren. In Ramla dürften ca. 1000 Personen, überwiegend Christen, bleiben.
Es bestand zwischen Israel und den arabischen Staaten leider keinerlei postalische Verbindung. Durch das Rote Kreuz wurde uns Flüchtlingen erlaubt, auf einer Postkarte 36 Wörter zu schreiben, welche dann an die Angehörigen weitergeleitet wurden. Es dauerte manchmal 3 Monate, bis man eine gute oder eine schlechte Nachricht erhielt. Mein Neffe, der auch mit seinen Eltern aus Lydda zu Fuß geflüchtet war und in Ost-Jerusalem unterkam, fuhr in die USA, um dort zu studieren. Jetzt konnte ich die Post nach Amerika senden, und von dort aus leitete er sie nach Ramla / Israel weiter und umgekehrt. Trotz all dieser Umstände war ich über diesen Umweg erleichtert, denn ich konnte jetzt meiner Familie mehr schreiben und von ihr mehr Informationen, zum Teil traurige, erhalten. Ein Jahr später erlaubte man nur den arabischen Christen, während des Weihnachtsfestes über den Grenzübergang „Mandelbaumtor“ in Jerusalem nach Bethlehem zu reisen. Diese Regelung galt nur für eine Person je Familie, für 36 Stunden. Die Hälfte der Zeit verbrachte man an der Grenze mit Formalitäten und Leibesvisitationen. Ich konnte endlich meinen Vater nach ca. vier Jahren für ein paar Stunden wiedersehen. Ein Jahr später schloss ich ihn ein letztes Mal in die Arme, da er kurz darauf starb.
Am Ende meiner Schulzeit wurde ich gefragt, was ich werden möchte. Ich äußerte meinem Wunsch Elektrotechnik in Deutschland zu studieren. So kam ich mit einem jordanischen Pass im Alter von achtzehn Jahren ohne deutsche Sprachkenntnisse nach Köln – Dellbrück in ein Lehrlingsheim . Man hat mir wohl in Jerusalem beigebracht, dass die Deutschen die Pünktlichkeit lieben.
Hier in Köln machte ich mit Erfolg eine Elektro-Lehre, dann arbeitete ich bei Firma AEG und Siemens und schließlich habe ich in Köln Elektrotechnik studiert. Im Jahre 1965 erlangte ich die deutsche Staatsangehörigkeit. Nun durfte ich endlich nach ca. 20 Jahren dank meines deutschen Passes meine Heimat Ramla besuchen und meine Geschwister umarmen, die mittlerweile verheiratet waren und eigene Kinder hatten.
Als Baby wurde ich in der orthodoxen Kirche in Ramla bei Jaffa getauft, mit 14 Jahren wurde ich in Bethlehem in der evangelisch – lutherische Weihnachtskirche konfirmiert und 1967 in Köln wurde ich katholisch getraut – ich bin also wahrhaftig ein ökumenischer Christ. 1970 bekamen wir eine gesunde Tochter. Wir nannten sie Jeannette.
Ab Juli 1970 bis Juni 1999 arbeitete ich in Köln an der Berufsförderungswerk Michaelshoven als Dozent für Elektrotechnik, Elektronik und Mathematik.
Seit 1974 engagiere ich mich für die Ökumene und für die Völkerverständigung hier in Köln und im Heiligen Land. Ich habe hier in Köln-Chorweiler einer christlich orthodoxen Gemeinde aus Antiochien in der Türkei bei der Integration und beim Aufbau der orthodoxen Gemeinde St. Dimitrios (Rum Orthodox) geholfen. Ich habe ihnen beim Erlangen einer Kirche in Köln-Bickendorf geholfen, die ich dann mit Ikonostase, Kirchengestühl, Schränken und einem großen Taufbecken als orthodoxe Kirche eingerichtet habe.
Ich habe mehrmals in Rodenkirchen für Obdachlose gekocht und im Jahr 2001 habe ich meinen 65. Geburtstag u.a. mit 175 Obdachlosen in Köln gefeiert. Ich habe meine Gäste (die Obdachlosen) gebeten, mir weder Geschenke noch Blumen zu schenken, jedoch nur einen Pfennig .
Im Heiligen Land habe ich verschiedene Friedensprojekte in Jerusalem, Bethlehem und Hebron mit Material (gebrauchte Wohnheim Ausstattung, Mähmaschinen, medizinische Apparate, und für Hebron komplette Unterrichtsmaterialien für Elektrotechnik und Elektronik) ausgestattet. Nach dem Libanonkrieg 1982 habe ich mit eine Gruppe Waisenmädchen unterstützt
1985 war mein Wunsch, das Fest der Auferstehung (Ostern) mit meinen Geschwistern und ihren Familien in Ramla zu feiern. Auf dem Weg zur Kirche sind wir an einer verlassenen Bauruine vorbei gekommen. Als ich meinen Bruder nach dieser Ruine fragte, erzählte er mir, dass die orthodoxe Gemeinde im Jahre 1975 angefangen hat, ein Gemeindezentrum zu bauen. Da bekam sie die Auflage, das Haus müsse einen bombensicheren Keller haben. Durch diese nachträgliche Auflage und durch die Inflation, konnte das Gebäude leider noch nicht mal zum Teil fertig gebaut werden. Daher blieb das Gebäude als Ruine 10 Jahre lang stehen. Da meinem Bruder bekannt war, dass ich mich u.a in Libanon für humanitäre Projekte engagiere, bat er mich, auch den Christen in unserer Geburtsstadt zu helfen, damit sie das Fest der Auferstehung und ihre religiöse Festlichkeiten würdig und ungestört in den eigenen Räumen feiern können.
Da leider keine Möglichkeit bestand Spendengeldern zu bekommen, fing ich an, orientalische Gerichte für 50 bis 1000 Personen zu verschiedenen Anlässen, von Kindestaufen über Hochzeiten bis zu großen Veranstaltungen beim Evangelischen Kirchen und Katholikentagen in ganz Deutschland zu kochen. Somit konnte ich mit Hilfe von Spenden, kirchlichen Kollekten und dem Erlös meiner Kochaktionen der christlichen Gemeinde in Ramla helfen, aus einer Bauruine ein Gemeindezentrum und ein Gymnasium für 600 christliche und muslimische Schülerinnen und Schüler vom 5. bis 12. Schuljahr zu bauen und einzurichten. Nach der Einweihung des Gymnasiums am 1. 10. 1994 wollte ich mich zu Ruhe setzen, denn ich war inzwischen 58 Jahre alt und neben meiner Lehrtätigkeit in den Fächern für Elektrotechnik, Elektronik und Mathe verbrachte ich viel Zeit mit kochen. Da erzählte mir eine junge Dame, dass das Schulniveau in dem Gymnasium sehr hoch ist und dass die Schule ein hohes Ansehen in der ganzen Umgebung genießt, aber es fehlt ein Kindergarten und eine Grundschule. Ich überlegte kurz und sagte: Du hast Recht, die Kinder fangen nicht erst im Gymnasium an. Ich werde euch helfen beim Bau eines Kindergartens, aber für Juden, Christen und Muslime, damit die Kinder von klein an lernen, friedlich zusammen zu leben, sich gegenseitig zu tolerieren und wertschätzen. So musste ich weiter kochen und Spenden sammeln. Ich wollte einen besonderen Kindergarten bauen, damit auch die jüdischen Eltern bereit sind, ihre Kinder mit arabischen Kindern zusammen lernen zu lassen. Das Gebäude sollte ökologisch mit Lehmbausteinen gebaut werden. Entworfen wurde es von dem renommierten Lehmbau Experte Prof. Minke, der in der ganzen Welt ähnliche Gebäude gebaut hat, aber nicht in Israel.
Bis Anfang des Jahres 2003 habe ich drei mal vergeblich versucht mein Vorhaben, Bau eines Kindergartens, zu realisieren, aber jetzt, im Nachhinein, bin ich deswegen nicht traurig, denn ich konnte ein viel nachhaltigeres Projekt unterstützen und verwirklichen können. Für mein Engagement für die Verständigung und Annäherung zwischen den Völkern und Religionen wurde ich vom Bundespräsidenten Johannes Rau im Jahre 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Um das Ziel der Völkerverständigung und des friedlichen Zusammenlebens besonders von Kindern verschiedener Religionen zweckgerichtet zu fördern, wurde am 1. April 2003 der gemeinnützige Verein „ABRAHAMSZELT – Freunde und Förderer der interreligiösen Erziehung von Kindern in Israel e.V.“ gegründet.
Seit 2012 setze ich mich als Ritter des Ordens Christi vom Tempel zu Jerusalem für die Christen im Heiligen Land und auch in Syrien ein.
Mit unserem Verein Abrahamszelt e.V. habe ich bis zum Jahr 2014 das vierte mal versucht ohne Erfolg, den Bau eines bilingualen multikulturellen Kindergartens in Israel zu bauen. Ich bin daher nicht traurig, im Gegenteil, ich bin Gott dankbar dafür, dass wir mit dem Geld keine Steine gekauft haben, um einen Kindergarten zu bauen. Die Kinder, solange sie im Kindergarten sind, verstehen sich sehr gut. Sobald sie älter sind und den Kindergarten verlassen, gehen die jüdischen Kinder in die jüdischen Schulen und die arabischen Kinder gehen in die arabischen Schulen. Ich habe Ende 2013 Kontakt mit der Institution Hand in Hand in Jerusalem aufgenommen. Sie bauen weder Kindergärten noch Schulen, sondern sie errichten Kindergärten und Schulen in leer stehenden Gebäuden mit der Auflage, dass 50% der Kinder Araber (Christen und Muslime) und auch 50% Juden sind. Die Kinder werden zweisprachig unterrichtet und bleiben zusammen bis zum Abitur. Auch die Eltern müssen sich verpflichten, an bestimmten Aktionen zu beteiligen. Die Kinder feiern bestimmte religiöse Feste auch zusammen. Wir haben unser Vereinsvermögen mit der Unterstützung des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“ für ein Projekt zur Finanzierung eines Programms zur Aus – und Fortbildung für bilinguale und multikulturelle Bildung für Kindergartenpersonal verwendet. Dies wird mit der Einrichtung einer entsprechenden Fachstelle, die durch die Organisation „Hand in Hand“ (Zentrum für jüdisch- arabische Erziehung in Israel, www.handinhandk12.org) erfolgt, durchgeführt. Nachdem unser Vereinsvermögen hierfür verwendet wurde und die in der Satzung festgelegten Ziele erreicht wurden, haben die Vereinsmitglieder unseren Verein Abrahamszelt e.V Ende 2016 fast einstimmig für die Auflösung des Vereins abgestimmt.
Mit dem Vermögen, das ich vor der Vereinsgründung von Abrahamszelt e.V beim Kindermissionswerk deponiert habe, wurde damit eine Friedensstiftung unter: „Jalil Schwarz-Friedenskoch“ gegründet. Nun können mit den Erträgen und Spenden weiterhin multikulturelle Projekte (Juden, Christen und Muslime) unterstützt werden.
Es ist bekannt, dass die Juden im Laufe der Geschichte in viele Länder der Welt verstreut wurden, einschließlich den arabischen. In den arabischen Ländern wurden sie überwiegend sehr gut behandelt und genossen Gastrecht und Bürgerrechte. Vor den ersten und im zweiten Weltkrieg dagegen wurden sie aus einigen Ländern Europas vertrieben viele von ihnen wurden auf schrecklichste Weise umgebracht. Andere kamen in unsere Heimat Palästina und fanden zunächst gute Aufnahme und Zuflucht. Nun haben sie mit Gewalt uns das Land genommen, und hunderttausende von Menschen heimatlos gemacht und uns in viele Länder verstreut. Ich habe zum Beispiel Angehörige in Süd – und Nordamerika, in Australien, Jordanien, Libanon, Syrien, Israel, – und ich lebe hier in Deutschland, in Bergheim bei Köln.
Solange die Palästinenser keinen eigenen Staat und Souveränität erhalten, wird es in Israel kein Frieden geben, denn ohne Salam gibt es kein Shalom – und umgekehrt auch !
Mein Traum und Wunsch ist, dass eines Tages im Heiligen Land
Juden, Christen und Moslems („Die Kinder Abrahams“)
Friedlich miteinander leben und sich gegenseitig
respektieren und wertschätzen